Das Konzentrationslager (KZ) Dachau
wurde am 22. März 1933 wenige Zeit nach Hitlers Machtübernahme errichtet und
war das erste dauerhafte KZ der Nationalsozialisten. Es diente dabei als Modell
für das gesamte NS-Lagersystem und existierte durchgehend bis zur Befreiung
durch US-Truppen am 29. April 1945. Neben der grauenhaften und
menschenverachtenden Inhaftierung, Degradierung und Ermordung politischer
Gegner*innen, Juden*Jüdinnen und anderer verfolgter Gruppen, diente
es zudem auch als Ausbildungsstätte für KZ-Wachmannschaften und SS-Führer. Auch
wenn das KZ Dachau kein Vernichtungslager war, wurden dennoch in keinem anderen
KZ so viele politische Morde verübt wie in Dachau.
18Von den ca. 200.000 Inhaftierten starben mindestens 41.500 Menschen.
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Teile des Lagers wurden immer wieder
aus propagandistischen Zwecken durch Fotographien oder Führungen zur Schau
gestellt. So auch das Krankenrevier. Dies diente als eine Art Krankenhaus und
befand sich ursprünglich in den ersten beiden Funktionsbaracken rechts der
Lagerstraße. Diese Baracken waren modern und hochwertig ausgestattet und
verfügten über zwei Operationssäle, eine Apotheke, ein Labor und verschiedene
Ambulanzen. In Wirklichkeit jedoch litten die kranken Häftlinge unter
katastrophalen Bedingungen. Die SS-Ärzte kümmerten sich kaum um die
Patient*innen, und es herrschte ein eklatanter Mangel an Medikamenten und
Verbandsmaterial. Erst ab 1943 durften Häftlinge, die selbst Ärzte waren, andere
kranke Häftlinge versorgen. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges verschlechterten
sich die Lebensbedingungen der Häftlinge zunehmend. Unterernährung, mangelnde
Hygiene und körperliche Entkräftung führten zu einem desolaten
Gesundheitszustand. Daher wurde das Krankenrevier nach und nach um fünf
Baracken erweitert und umfasste schließlich sieben Revierblöcke, die durch
einen überdachten Gang miteinander verbunden waren. Durch die rapide
Ausbreitung von Infektionskrankheiten, besonders gegen Ende des Krieges,
entwickelte sich das Krankenrevier zu einem Ort des Sterbens.
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Blick auf das ehamlige Krankenrevier in der Gedenkstätte KZ Dachau | Credit: Gedenktstätte KZ Dachau
Ab 1941 führten SS-Ärzte im KZ Dachau medizinische
Experimente an Häftlingen durch. Im Auftrag der Luftwaffe fanden unter ihrer
Leitung Unterkühlungs-, Höhen- und Meerwasserversuche statt. Gefangene wurden
in einem Wasserbecken lebensbedrohlich unterkühlt, in einer Unterdruckkammer
extremen Druckschwankungen ausgesetzt und gezwungen, chemisch behandeltes
Salzwasser zu trinken. Andere wurden mit Malariaerregern und Phlegmone
infiziert, um Medikamente zu erproben. Hunderte von Menschen starben dabei.
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Sigmund Rascher bei einem Experiment im KZ Dachau | Credit: Gedenkstätte KZ Dachau
Besonders hervor tat sich dabei der
Arzt Sigmund Rascher (1909-1945), der aufgrund seiner familiären Geschichte
und der Grausamkeit seiner Verbrechen in der Nachkriegszeit als Inbegriff des
sadistischen und kaltherzigen NS-Täters galt. Einen ähnlichen Ruf wurde
beispielsweise auch dem KZ-Arzt Josef Mengele (1911-1979) zugesprochen, der
im KZ Auschwitz-Birkenau ebenfalls Menschenversuche und Verbrechen gegen die
Menschlichkeit verübte.
22 Doch ein Anliegen dieses Rundgangs ist es mit der teils voyeuristisch
anmutenden Auseinandersetzung mit solchen Einzelpersonen zu brechen. Auch wenn
sich gewisse Täter im Übermaß durch grauenhafte Verbrechen einen Ruf machten,
so wollen wir bewusst eine Individualisierung der Verantwortung vermeiden.
Stattdessen ist es auch hier wichtig zu betonen, dass hinter den medizinischen
Unrechtsverbrechen und Menschenversuchen eine über Jahre hinweg etablierte
Systematik stand. An der Umsetzung von Menschenversuchen in den KZs waren
etliche Personen auf verschiedensten Ebenen beteiligt. Insbesondere die
Möglichkeit beziehungsweise der Wunsch nach der Durchführung von Versuchen an
Menschen waren keine Idee der Nationalsozialisten, sondern es wurden bereits seit
der Jahrhundertwende an Strafgefangene oder Menschen in Heilanstalten medizinische
Experimente durchgeführt. In Deutschland hatte sich allerdings kurz vor der
Machtübernahme der Nationalsozialisten ein gesellschaftliches und auch
politisches Umdenken bezüglich der Versuche an Menschen abgezeichnet. Nach dem
Lübecker Impfunglück 1930, bei dem 77 Säuglinge an den Folgen einer fehlerhaften
Tuberkulose-Impfung verstarben, hatte der Reichsgesundheitsrat im Jahr 1931
eine Richtlinie zur Vornahme medizinischer Versuche verabschiedet. Mit dem Machtantritt
der Nationalsozialisten wurde diese Richtlinie jedoch verworfen.
23 Verfolgt man die entmenschlichende Logik der NS-Ideologie, so erscheint der Gedanke
von Menschenversuchen in den Lagern leider wenig verwunderlich. Wie wir bereits
auch am Anatomischen Institut zeigen werden, degradierten NS-Mediziner
bestimmte Menschengruppen zu
Untersuchungs- und Arbeitsmaterial. Der
Arzt Rascher schlug 1941 in einem Schreiben an Heinrich Himmler vor,
Inhaftierte der Lager für Menschenversuche zu nutzen und ebnete damit den Weg
für eine Vielzahl anderer:
„Zurzeit
bin ich nach München zum Luftgaukommando VII kommandiert für einen ärztlichen
Auswahlkurs. Während dieses Kurses, bei dem die Höhenforschung eine sehr große
Rolle spielt, – bedingt durch die etwas größere Gipfelhöhe der englischen
Jagdflugzeuge – wurde mit großem Bedauern erwähnt, daß leider noch keinerlei
Versuche mit Menschenmaterial bei uns angestellt werden konnten, da die
Versuche sehr gefährlich sind und sich freiwillig keiner dazu hergibt. Ich
stelle darum ernsthaft die Frage: besteht die Möglichkeit, daß zwei oder drei
Berufsverbrecher zu diesen Versuchen von Ihnen zur Verfügung gestellt werden
können? […] Diese Versuche, bei denen selbstverständlich die Versuchspersonen
sterben können, würden unter meiner Mitarbeit vor sich gehen.“24
Himmler willigte ein und so wurden ab 1941 im KZ Dachau
und anderen Lagern verschiedene Menschenversuche durch NS-Ärzte durchgeführt.
Diese waren auch Gegenstand der Nürnberger Ärzteprozesse, bei denen allerdings
wenige der Angeklagten Reue zeigte. So sagte der KZ-Arzt Karl Gebhardt (1897-1948) 1947 in Bezug auf seine Durchführung von Sulfonamid-Experimenten sowie
Meerwasserversuchen: „So hat mir, wie ich mich bemühte zu zeigen, das Dritte
Reich […] auf ärztlichem Gebiete eine große Chance gegeben. Ich habe die Chance
genutzt.“
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Schätzungsweise waren über 3.000 Menschen direkte
Opfer dieser verschiedenen Versuche. Die Dunkelziffer wird jedoch als weitaus
mehr geschätzt. Das Ausmaß der Experimente wurde bereits im Ende der 1940er
Jahre im Rahmen des Ärzteprozesses in Nürnberg durch die
International
Scientific Commission for the Investigation of Medical War Crimes untersucht.
26 Letztendlich wurden im Rahmen des Nürnberger Ärzteprozesses insgesamt 23 Personen
angeklagt, darunter 20 Ärzte. Sieben Angeklagte wurden zum Tode verurteilt und
hingerichtet, neun mussten unterschiedlich lange Haftstrafen antreten, während die
restlichen sieben freigesprochen wurden.
27 Eine viel größer Anzahl an Beteiligten konnte jedoch ungehindert nach der
Niederlage Deutschlands ihre Forschungs- und Kliniktätigkeit wiederaufnehmen.